Kurzgeschichten  

 

 

Gefangen im Leben


Sie saß immer da. Still. Sie war hübsch und schlank, aber still. Ich beobachtete sie jeden Tag am Ende der Schule, wie sie da saß, auf der alten, morschen Bank neben dem Flieder, dessen lila ihre Augen wie Diamanten strahlen ließ. Sie saß immer da. Alleine. Sie war hübsch und schlank, aber alleine. Sie wartete jeden Tag auf dieser Bank. Oft eine viertel Stunde oder länger, dann ging sie, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie trug immer ihre Kopfhörer und hielt ihren Walkman fest in der Hand. Wenn die Sonne auf ihn schien, blendete er mich oft so sehr, dass ihr hübsches Gesicht zu verblassen drohte. Ich traute mich nicht, sie anzusprechen, zu fragen wie sie heißt, welche Musik sie gerade hört oder welches ihr Lieblingslied sei, obwohl ich es unbedingt wissen wollte, doch ich traute mich nicht sie anzusprechen, sie zu fragen.
Wenn die anderen Jungs zu ihr gingen und sie beschimpften, sagte sie nichts. Ihre Musik konnte die Wörter nicht bändigen, verschlingen oder verstummen lassen, doch sie wehrte sich nicht. Niemals. Sie ließ sich nicht stören, nicht aus ihrer Traumwelt, in der sie anscheinend immer zu schweben versuchte, vertreiben. Wenn die Jungs sie schubsten, sagte sie nichts. Sie währte sich nicht. Niemals. Und ich, ich traute mich nicht sie zu verteidigen, zu ihr zu gehen. Ich sah zu, wie die Jungs ihr an die Schenkel faßten. Doch sie wehrte sich nicht. Niemals.
Am letzten Tag vor den Sommerferien sah sie besonders hübsch aus, wie sie da in diesem Kleid, welches mit kleinen Blümchen bestickt war, auf der Bank saß. Sie trug kleine Schmetterlinge im Haar, die ihren Pony zurückhielten und in der prallen Sonne wie Gold glitzerten. Sie sah so unschuldig aus, schwach und doch wunderschön. Ich beobachtete sie eine ganze Weile. Ich beobachtete, wie sie verzweifelt versuchte aus den Luftgittern zu fliehen, die ihre Seele gefangen hielten. Ihre Augen sprangen aufgeregt hin und her, ihre Brust bewegte sich hektisch auf und ab. Ich spürte, dass sie Angst hatte, dass sie kämpfte, dass sie schrie, doch ich konnte sie nicht hören. Ich wollte zu ihr, sie retten, sie beschützen, sie streicheln. Und ich ging. Beunruhigt. Erregt. Mit Herzklopfen und rasendem Puls ging ich in aufrechter Haltung, friedlich aber doch bestimmt, auf sie zu. Sie sah mich an. Aufruhe. Sah wieder zu Boden, wo sich ihr Blick fesselte. Unsicherheit. Doch ich ging weiter, legte mir passende Sätze wie: „Hallo! Auf wen wartest du? In welche Klasse gehst du?“ zurecht. Vorsichtig setzte ich mich neben sie auf die Bank. Ich wollte sie nicht bedrängen. “Hallo!“, sagte ich leise, doch sie hob ihren Blick nicht vom Boden, schaute mich nicht an, sagte nichts. „Hallo. Ich bin Tom“, sagte ich etwas lauter. Sie hielt ihren Blick noch immer am Boden gefangen. Stumm saßen wir eine ganze Weile nebeneinander dort auf der Bank. Sie spulte ihre Kassette vor und wieder zurück. Hielt ihren Walkman unruhig in der Hand. Spielte nervös mit dem Kabel. Eine ganze Weile, dann stand sie auf. Ging, ohne sich einmal umzudrehen, packte ihren Walkman ein und fing sie an zu laufen. In ihrer Eile verlor sie ihren Walkman. Es gab einen Knall, doch sie drehte sich nicht um, blickte starr geradeaus, lief weiter. Ich stand auf und lief zu ihrem Walkman, schrie: „Hey, warte! Dein Walkman!“ Sie lief weiter.
Ich war gespannt, was für Musik sie hörte und stellte den Walkman an, doch ich hörte nichts. Ich spulte die Kassette vor, doch ich hörte nichts. Spulte sie wieder zurück, doch hörte noch immer nichts. Ich wollte die Kassette umdrehen, da merkte ich, dass der Walkman leer war. Verdutzt schaute ich ihr hinterher, verstand die Situation nicht. Ich rief noch einmal: „Warte!“ In diesem Moment klopfte mir ein Mädchen auf die Schulter und sagte zu mir: „Weißt du es denn nicht? Sie kann dich nicht hören!"


Liebe

Als ich aufwachte hörte ich sie schon schreien, wie jeden Sonntag. Jeden Sonntag die gleichen Anschuldigungen und Vorwürfe. Jeden Sonntag die gleiche Wut, der gleiche Hass. Wussten sie nicht, dass ich sie hörte oder war es ihnen egal? Wussten sie nicht, dass ich darunter leider oder war es ihnen egal? Ich traute mich nie zu ihnen hinunter, nie in die Höhle der Löwen, doch ich musste es tun. Ich musste mich zu ihnen stellen, mich mit Steinen bewarfen und durch ihre Worte prägen lassen. Denn wenn sie sich selber nicht mehr verletzten konnten, ließen sie es an mir aus. Ich hoffte früher, nie so zu werden wie sie. Ich hoffte, meinen Kindern Frieden und Sicherheit zu bieten doch jetzt, jetzt leben wir selber im Krieg. Meine Kinder, meine Enkelkinder, meine Urenkel. Niemand wird ihre Kinder so lieben können, wie sie es verdient haben, weil sie selber nie so geliebt werden konnten, wie sie es verdienten. Wenn ich Menschen der Zeit betrachte, ist es auch kein Wunder. Das materielle zählt, das Geld, das Aussehen. Niemand achtet auf Liebe, Vertrauen oder Gefühle. Wie soll man sich hier zurechtfinden? Wie soll man hier glücklich werden, überleben? Wie sollten sie es können? Sie waren nichts Besser als wir, aber sie haben sich doch mal geliebt. Kann Liebe wirklich vergehen? Kann sie sogar zu Hass werden? Wie muss man sein, was muss man tun, um dieses wunderbare Gefühl zu verlieren? Dieses Gefühl im Bauch, das es nur einmal gibt. Geliebt zu werden und zu lieben, das ist der Traum, dem sie dienten. Doch dieses Gefühl blieb nicht für immer. Sie mussten es lieben und pflegen, doch sie vergaßen es oft und so kam es, dass diese Gefühl verblasste, dass sie sich gegenseitig hassten. Dass dieses Gefühl verschwand, auch wenn sie soviel verbannt. Mit verbundenen Augen sah sie sein Herz schlagen, doch jetzt ist es leer. So leer, wie ihres.


Herbst morgen

Ich fahre genau dem Sonnenaufgang entgegen. Richtung Freiheit dort, wo das Rot des Feuers mit dem Blau des Tages und dem Gelb der Sonne zusammen schmilzt. Der Himmel sieht aus, als würde er brennen. „Das Christkind backt Plätzchen“, sagte meine Mutter immer. Ob daher der Geruch von frischem, brennenden Holz kommt? Der Morgen riecht nach Wärme. Ob diese Wärme aus den Herzen der Menschen oder aus den Öfen kommt, kann ich nicht so genau sagen. Ich glaube aber, dass es die Öfen sind, die diesen Geruch von Harmonie und Liebe in den Tag legen. Menschen können das nicht mehr. Die Schornsteine der, in noch leichtem Nebel verpackten, Häuser sehen aus, als würden sie rauchen. Sie pusten den verschleierten Qualm zum Christkind. Ein kalter Wind peitscht mir ins Gesicht. Meine Nase wird rot und ich merke, wie sich langsam Schnupfen bildet. Ein kleiner Tropfen aus meiner Nase plätschert auf meine Jacke. Beim Wegwischen hinterlässt er einen grauen, klebrigen Streifen. Auch meine Finger werden kalt und bläulich. Sie kribbeln, als würde hundert Nadeln gleichzeitig in ihnen versinken. Der kalte Wind pfeift noch immer durch die Straßen und weht die goldbraunen Blätter von den Bäumen. Er zieht sie in den Sog der Freiheit. Langsam wacht auch die Straße auf und immer mehr Menschen fahren mit mir in den Tag. Sie fahren ihren Weg mit einer Leichtigkeit, als ob sie sogar im Traum die Straße auswendig kennen. Jeder fährt für sich. Keiner beachtet den anderen. Mir ist, als würde ich in mitten all dieser Menschen fahren und aus vollem Leibe schreien, doch niemand sieht zu mir. Ich will mich trennen von diesen ganzen Fremden und kalten und fahre schneller. Doch die Ampel ist rot.


Der Träumewächter

Der kleine Mobus und der böse Torgau (eine Kindergeschichte)

Der kleine Mobus lebt ganz alleine in einer Seifenblase, versteckt in den unendlichen Tiefen des Universums, irgendwo zwischen Gegenwart und Phantasie. Er hat immer viel Langeweile weile so alleine und sucht immer nach neuen Herausforderungen. Sein neuestes Ziel ist es, die Kinder vor dem bösen Torgau und seiner Bande zu beschützen. Denn der böse Torgau vernichtet die Träume von Kindern. Auch Mobus selber wurde einmal in seinem Traum vom bösen Torgau besucht, daher weiß er, wie gemein der böse Torgau ist. Doch wie soll er diese Bande besiegen? Er ist doch ganz alleine!
Jede Nacht sieht er den bösen Torgau und seine Bande an seiner Seifenblase vorbeiziehen. „Dann brauche ich mich nur an sie zu hängen und folge ihnen bis in den Traum, dort muss ich sie besiegen“, denkt er sich. Und so wartet Mobus, dass sie wieder einmal an ihm vorbeifliegen würden. Ihre Seifenblase ist nicht zu übersehen. Sie ist hässlich düster, fast schwarz. Wenn sie richtig Gas gibt, hörte es sich an wie ein mächtiger Donner.

Zunächst einmal muss der kleine Mobus seine Seifenblase schneller machen, denn er ist schon lange nicht mehr damit unterwegs gewesen. Eigentlich weiß er auch gar nicht mehr, wie dieses Ding funktioniert. Doch es muss schneller werden, wenn er mit dem bösen Torgau mithalten will. Da kommt ihm plötzlich sein alter Kumpel aus der Schulzeit in den Sinn. Technikus. Er war der Streber der Klasse. Man munkelte, dass er als Kind ein Lexikon aufgegessen habe und darum so schlau sei. Also setzt er sich hin und schreibt Technikus einen Brief und bittet ihn um Hilfe, denn er wird mit Sicherheit die Seifenblase schneller machen können. Den Brief klebt Mobus an einen Stern wirft ihn ganz weit in die Unendlichkeit.
Dann dauert es auch nur drei bis vier Sonnenumrundungszeiten bis Technikus mit seinem Werkzeugkoffer bei ihm vor der Seifenblase steht. Natürlich bekommt er die alte Seifenblase wieder fit. Technikus gibt sich alle Mühe und mit viel Ruhe und Gefühl bringt er Mobus´s Seifenblase auf den aller neusten Stand der Technik. „Jetzt hast du das aller schnellste Fortbewegungsmittel in den unendlichen Tiefen des Universums, irgendwo zwischen Gegenwart und Phantasie!“ Noch ein kurzes „Dankeschön“ und Technikus fliegt auf und davon. Der kleine Mobus begutachtet seine neue Seifenblase. Sie hat nun vier Spiegel, einen doppelten Auspuff, einen getönten Überzug, Sportlenkrad und das Thermometer zeigte bis 120.000 Kilometer pro Sonnenumrundung an. "Wow!"
Jetzt kann die Jagd auf den bösen Torgau und seine Bande beginnen. Mobus kann es kaum abwarten, bis es Nacht wird. Zur Sicherheit zieht er sich noch ein paar Ellenbogen- und Knieschützer an, die er in einem Karton vergraben hat. Nun sitzt er auf der Lauer.

Ein lautes Knarren und Knattern schallt durch die Unendlichkeit. Man kann noch nichts sehen. Mobus bekommt etwas Angst, doch er muss stark sein. Stark sein, für die Millionen Kinder in diesem Traumland. Er atmet tief durch.
Dann kommen sie auch schon. Überall ist schwarzer Rauch. Mit Vollgas folgt der kleine Mobus dem bösen Torgau und seiner Bande. Eine Verfolgungsjagd - wie man sie nur aus dem Fernsehen kennt – beginnt. Quietschende Seifenblasen, die wie eine Schluck Wasser in der Kurve liegen, hektisches Spurenwechseln und immer den Gegner im Nacken. Denn der böse Torgau hat Mobus sofort bemerkt und er spürt, dass er etwas vor hat. Bisher kennt er niemanden, der es schafft, seiner Seifenblase auf den Fersen zu bleiben. Mit spektakulären Manövern versucht der böse Torgau Mobus abzuschütteln, doch es gelingt ihm nicht. Der kleine Mobus hat sich ganz fest ein Ziel gesetzt und verfolgt es nun mit allen Mitteln egal, was passiert.

Der böse Torgau findet auch schon sein Opfer für diese Nacht: der kleine Marcel. Er ist erst 5 Jahre alt, doch das stört den bösen Torgau nicht. So machen sich der böse Torgau und seine Bande auf den Weg in den Traum des kleinen Marcel. Mobus folgt ihnen auf Schritt und Tritt. Marcel träumt gerade von einem Picknick mit seinen Eltern und seiner großen Schwester Ammelie. Der Himmel ist strahlend blau und die Sonne lässt den eingepackten Käse fast zerschmelzen. Alle lachen und tanzen zu dem Gezwitscher der vielen vielen Vögel, die das Familienpicknick beobachten und hoffen, einen kleinen Happen abzubekommen. Schmetterlinge tanzen auf den bunten Blumen. Doch dann plötzlich kommen dunkle Wolken auf. Ein lautes Knarren und Knattern schallt durch den Traum. Die Vögel fliegen mit hektischem Flügelschlag davon und die ganze Familie läuft verängstigt umher. Keiner weiß was los ist. Wo sollen sie hin? Dann sehen sie einen großen, furchterregenden, mächtigen Torgau, der mit einem einzigen Feuerstoß das ganze Picknick in Flammen setzt. „Hilfe! Hilfe!“, schreien alle. Marcel fängt an zu weinen. Sie rennen alle noch immer umher doch der böse Torgau schließt sie mit einer Wand aus Feuer ein.

Marcel kennt diesen Traum. Er hat ihn schon öfter. Marcel hasst Feuer. Seitdem er sah wie sein Nachbarhaus brannte und ein Freund darin starb, bekommt er schon Atemnot und Schweißausbrüche wenn er nur Feuer im Fernsehen sieht. Das weiß der böse Torgau natürlich genau.
Marcel kennt diesen Traum, doch niemals kam jemand, um sie zu retten. Alle weinen und haben große Angst. Plötzlich taucht Mobus zwischen den dunklen, schwarzen Wolken auf. Er sieht aus wie Spiderman oder ein anderer Held aus dem Fernsehen, der immer das Böse besiegt um die Guten zu retten. Ja und genau das hat der kleine Mobus auch vor. Er ist fest entschlossen. „Hey, lass sie in Ruhe!“, ruft Mobus. Der böse Torgau dreht sich langsam um und sieht Mobus mit seinem kalten, schwarzen Blick an. „Wer bist du? Was willst du?“, fragt der böse Torgau mit einer tiefen, dunklen Stimme. „Lass sie in Ruhe! Sie haben dir nichts getan!", schreit der kleine Mobus. Auch er hat Angst. "Du wirst mich nicht aufhalten!" und der böse Torgau schaut wieder zu der verängstigten Familie. Überall ist Feuer. Sie halten sich fest im Arm. "Marcel", ruft Mobus, "das ist dein Traum, du kannst hier alles machen, wie du es möchtest. Du musst dich nur trauen!" Marcel weint. "Nur du kannst hier etwas beeinflussen. Du schaffst das!" Marcel sieht zu seiner Familie hinauf. Er sieht ihre Tränen, besonders Ammelie hat große Angst, doch nur er kann sie retten. "Was soll ich denn tun?" fragt Marcel. "Das ist dein Traum, du kannst dir alles vorstellen. Du schaffst das!" ruft Mobus dem kleinen Marcel zu. Der böse Torgau brüllt noch "es reicht jetzt!" als plötzlich ein See hinter der Familie auftaucht. Aus dem See kommt ein langer Feuerwehrschlauch. Marcel atmet tief durch. Der kleine Mobus und der böse Torgau und seine Bande staunenn nicht schlecht, als Marcel den Schlauch nimmt und fest entschlossen auf das Feuer hält. "Weiter so!" ermutigt Mobus. Marcel sieht zu seiner Familie und hält den Schlauch weiter auf das Feuer, bis es erlischt.

"Ja, ja, ja!" ruft Marcel laut "ich habe es geschafft" und hüpft voller Freude umher. Auch Mobus hüpft wild herum. Der böse Torgau und seine Bande werden wie von Geisterhand in ihrer Seifenblase zurück in die unendlichen Tiefen des Universums, irgendwo zwischen Gegenwart und Phantasie, gezogen. Marcel fällt erschöpft in die Arme seiner Familie. "Siehst du, du kannst alles schaffen, wenn du es ganz fest willst", sagt  der kleine Mobus und fliegt leise davon.


Der Träumewächter

 Der kleine Mobus und Lisas beste Freundin

Der kleine Mobus liegt gemütlich auf seinem Seifenblasensofa und liest ein Buch, als er ein leises Geräusch hört. Ganz weit weg, ganz leise. Was mag das sein? Was ist das für ein Geräusch? Ein Wimmern? Weint dort etwa Jemand? Sofort packt Mobus sein Helferinstinkt und er steht auf, zieht sich seine blaue Trainingsjacke über und startet die Seifenblase. Immer dem Geräusch nach braust er los. Durch die Jagd mit dem bösen Torgau kann Mobus jetzt schon richtig gut Seifenblasen fahren. Zum Glück ist nicht mehr so viel los auf den Universumsbahnen. So dauert es gar nicht lange, bis er bemerkt, woher das Geräusch kommt. Die kleine Lisa steht ganz allein auf dem Schulhof und weint. "Auf wen wartest du", fragt der kleine Mobus leise. "Auf Anni", antwortet Lisa. "Anni, wer ist das?", fragt Mobus. "Meine aller beste Freundin, die beste Freundin, die man sich wünschen kann!" sagt Lisa. "Ich warte mit dir, ich möchte Anni kennen lernen, denn ich habe nicht viele Freunde. Es ist aber auch schwer in den Tiefen des Universum Freundschaften zu schließen, irgendwo zwischen Gegenwart und Phantasie. Ein paar Verwandte besuchen mich manchmal. Aber richtige Freunde sind das nicht. Meine Tante Holli mag ich sehr gerne. Sie bringt mir immer Kinderschokolade mit, wenn sie mich besucht. Ihre Zwillinge, Leon und Luis, sind aber noch zu klein, um mit mir zu spielen. Sie können ja noch nicht einmal laufen. Was ist denn überhaupt eine beste Freundin?" fragt Mobus. Lisa bekommt ein Lächeln im Gesicht, "eine beste Freundin ist wie eine Schwester. Sie nimmt einen so wie man ist, ich muss mich nicht verstellen oder mich für etwas schämen. Beste Freunde belügen sich nicht. Die beste Freundin teilt alles, was sie hat und hilft mir immer, egal was passiert ist. Beste Freunde spielen viel zusammen. Eine beste Freundin verrät kein Geheimnis."  

Der kleine Mobus beendet Lisas Worte, denn er hat langsam großen Hunger. "Wann kommt Anni denn?" fragt er ungeduldig. "Nie mehr", sagt Lisa leise und fängt wieder an zu weinen. "Das versteh ich nicht, warum stehst du dann hier? Wo ist Anni denn?" "Sie ist weg. Ihre Eltern sind in eine andere Stadt gezogen. Ich bin jetzt ganz allein. Ich habe keine beste Freundin mehr." "Wieso hast du sie denn nicht mehr?" "Na weil sie nicht hier ist!" sagt Lisa wütend. "Aber sie lebt doch noch", sagt Mobus, "dann ist sie doch noch da. Merkst du das denn nicht?" "Sie fehlt mir!" "Ja, aber du denkst doch an sie, oder?" "Klar!" antwortet Lisa energisch. "Und Anni denkt ganz sicher an dich, also seid ihr doch noch beste Freundinnen!" sagt Mobus. Lisa stutzt, "Und ich kann ihr immer noch alles sagen?" "Ja natürlich, du kannst sie doch jeder Zeit anrufen oder ihr einen Brief schreiben, dann freut sie sich, wenn sie einen Brief bekommt. Und bestimmt könnt ihr euch in den Ferien besuchen!" "Mama könnte mich mit dem Auto zu Anni fahren!" lächelt Lisa. "Ja genau, ihr könnt viel Spaß haben und eine aufregende Zeit miteinander verbringen. Nur weil sie räumlich weggezogen ist, hat sich Anni nicht für immer von dir getrennt. Ich bin sicher, dass sie dich auch vermisst“ sagt Mobus, „wenn du willst, dann schreibe Anni jetzt einen Brief und ich fliegein ihren Traum und gebe ihn dort ab. Was hälst du davon?" "Geht das denn?" fragt Lisa. "Klar, ich bin ja jetzt auch hier bei dir. Das ist dein Traum, hier ist alles möglich!" "Prima" freut sich Lisa und legt gleich los.

Nach einer Weile kommt Mobus zurück. "Und?" fragt Lisa, "hast du Anni meinen Brief gegeben?" "Ja," sagt Mobus, "ich habe gesehen, dass sie weinte, aber als ich ihr deinen Brief gab, lachte sie wieder." "Prima, dann können wir ja jetzt beide beruhigt schlafen," sagt Lisa noch, bevor ihre Stimme versagt.
"Möchtest du ab jetzt auch meine beste Freundin sein?" fragt der kleine Mobus noch schnell, doch es kommt keine Antwort mehr.


Der Träumewächter

Der kleine Mobus und die Oma von Maja

Die letzte Woche war für den kleinen Mobus wirklich sehr anstrengend. Viele Kinder hatten schlimme Träume, in denen Mobus zur Hilfe eilen musste, aber alle gingen gut aus. Jetzt muss Mobus nur noch etwas seine Seifenblase aufräumen und waschen, dann kann auch er endlich schlafen gehen. Die Socken gehören aber in die Wäsche, denkt er sich, als plötzlich alles dunkel wird. Dichter schwarzer Nebel versperrt die Sicht. Was bedeutet das? Es wird doch hier jetzt wieder alles dreckig. Der Nebel wird immer dichter. Der kleine Mobus kennt keine Angst und wühlt sich mutig durch den schwarzen Nebel, gespannt, was ihn erwartet. Er hört Stimmen. Wo kommen die her? Und wieder hört er Tränen, wie schon an so vielen Tagen zuvor. Vom Ende des schwarzen Nebels lässt sich Mobus fallen. Er landet auf einem Friedhof. Dort stehen einige Menschen um ein Loch herum, ein Pfarrer spricht, die Menschen weinen. Mobus gefällt es gar nicht dort. Unter einem Baum sitzt auch ein Mädchen, mit langen braunen Haare und einem Stofftier in der Hand. „Hallo Kleine, wer bist du denn?“ fragt der kleine Mobus vorsichtig. „Maja“, antwortet sie leise. „Was ist denn hier los? Warum sind alle so traurig?“ Maja weint, „Oma Lotte war sehr alt und krank, sie ist gestorben und wird nun beerdigt.“ „Oh“, sagt Mobus, „und warum weinen alle?“ „Na weil wir Oma Lotte lieben und vermissen. Ich vermisse sie sehr. Sie war die beste Oma auf der ganzen weiten Welt. Sie hat mir immer Geld für die Kirmes gegeben oder etwas zu spielen gekauft. Sie nahm mich oft in den Arm und erzählte mir Geschichten. Früher, als es ihr besser ging, haben wir viel Memory zusammen gespielt oder die Tiere im Zoo besucht.“ „Das ist doch aber kein Grund zum Weinen“, sagt Mobus überrascht, „das sind doch Dinge zum Freuen!“ „Verstehst du denn nicht?!“ fragt Maja wütend, „Oma Lotte ist gestorben! Sie kommt nie wieder zurück“ „Doch, ich verstehe sehr wohl. Deine Oma Lotte war sehr alt und krank hast du gesagt und jetzt hat sie keine Schmerzen mehr und schläft. Das verstehe ich.“ „Aber sie fehlt mir so, ihre Umarmung.“ „Ich habe eine Idee!“ sagt der kleine Mobus aufgeregt, „es ist dein Traum, hier ist alles möglich, was du dir wünscht!“ „Alles“, fragt Maja. „Ja, du musst es dir bloß vorstellen.“

Es wird leise, der dunkle Nebel verschwindet. Die Sonne strahlt mit aller Kraft, Vögel singen und auf einmal steht Mobus mitten auf einem Spielplatz. Am Rande auf einer Bank entdeckt er Maja und eine alte Frau. Das muss Oma Lotte sein. Die beiden essen ein Eis, lachen und reden über die Schule. „Hallo Mobus, sieh mal her!“ ruft Maja, „Oma Lotte hat mir ein Eis gekauft, weil ich eine zwei in Mathe bekommen habe.“ „Das ist schön“, sagt Mobus. „Auch, wenn meine Oma Lotte tot ist, so kann ich in meinen Träumen so viel Zeit mit ihr verbringen, wie ich brauche und möchte. Du hast Recht gehabt, es ist alles möglich, wenn man es sich vorstellt!“ Maja lächelt wieder und so hat der kleine Mobus wieder sein Ziel erreicht. Er sagt noch „im Herzen kann Niemand sterben“, bevor er sich erschöpft schlafen legt.


Der Träumewächter

Der kleine Mobus und das Geheimnis der Dunkelheit

Heute geht es dem kleinen Mobus richtig gut. Er hat sich Pommes gekauft und freut sich schon sehr, wenn sie endlich fertig sind. Lange kann es nicht mehr dauern. Mobus macht sich für das Abendessen fertig. Die Jeans-Latzhose und sein grünes lieblings T-shirt mit der bunten Schildkröte drauf, tauscht er gegen den kuschelweichen Schlafanzug, den er letztes Jahr von Tante Holly zu Weihanchten bekommen hatte. Schnell noch die Haare zusammen binden und Hände waschen, dann können die Pommes aus dem Ofen geholt werden. „Wie das duftet“, schwärmt Mobus, während ihm das Wasser im Mund zusammen läuft.

„Nein, nicht das Licht ausmachen!“ hört er jemanden rufen. „Bitte, lass das Licht an! Bitte nicht das Licht ausmachen! Ich habe Angst!“ „Ach Jonas, nun stell dich doch nicht so an! Das Licht bleibt aus! Und jetzt schlaf endlich!“ sagt eine Frau. „Was ist denn da los?“ fragt sich der kleine Mobus, doch bevor er der Sache auf den Grund geht, isst er erst noch seine Pommes auf, denn er hat einen riesen Hunger.
Es ist ruhig geworden, niemand schreit mehr, doch Mobus ist sehr schlau, er hat ein gutes Gehör und weiß noch genau, woher die Rufe kamen. Gut gestärkt landet er dann eine halbe Sonnenumrundungszeit später im Traum von Jonas. Jonas hat immer noch Angst. Er weint leise. „Hey Jonas, was geht ab bei dir?“ fragt Mobus ganz cool. „Ach, nichts geht ab. Ich habe Angst“, jammert Jonas. „Aber wovor hast du denn Angst?“ fragt der kleine Mobus voller Neugier. „Vor der Dunkelheit!“ „Aber warum denn? Was hat dir die Dunkelheit denn getan?“ „Sie ist leer und kalt und bedrohlich“, antwortet Jonas, „Mama will, dass das Licht aus ist, wenn ich schlafen gehe, aber dann kann ich nicht sehen, was um mich herum passiert. Was ist, wenn auf einmal ein großes Monster in meinem Zimmer steht?“ Mobus kennt diese Gedanken nicht, denn für ihn ist die Dunkelheit der Weg zu den Kindern. Er hat keine Angst vor ihr. „Ach so, so habe ich das bisher nicht gesehen“, sagt der kleine Mobus erstaunt, „weißt du, ich finde die Dunkelheit ist interessant und voller Überraschungen und ganz viel Phantasie und Platz für Träume. Außerdem bietet die Dunkelheit auch Schutz, denn wie soll dich das große Monster finden, wenn es dich doch gar nicht sehen kann?! Und ich verrate dir ein Geheimnis, aber du musst mir versprechen, dass du es niemandem weiter sagst! Versprochen?“ „Versprochen!“ sagt Jonas gespannt. „Jede Nacht schleiche ich mich in Träume von Kindern und vertreibe das Böse. Das geht aber nur, wenn es dunkel ist, denn sonst kann das Böse mich kommen sehen, ich bin in Gefahr und kann dir nicht mehr helfen. Du musst also keine Angst vor der Dunkelheit haben! Es muss dunkel sein, damit ich euch Kinder im Schlaf beschützen kann.“ erklärt Mobus. Jonas ist erstaunt. „Ich dachte immer, dass die Dunkelheit gefährlich ist, darum hatte ich Angst. Danke, dass du mir das Geheimnis der Dunkelheit erzählt hast. Jetzt habe ich keine Angst mehr.“ „Du darfst das aber niemandem erzählen! Das ist unsere Geheimnis“, sagt Mobus. „Ja, abgemacht, ich werde es niemandem erzählen. Das ist unser Geheimnis“, antwortet Jonas stolz. „Gut. Und jetzt träume weiter“, sagt der kleine Mobus und fliegt durch die Dunkelheit auf und davon.

 


Der Träumewächter

Der kleine Mobus und Monja's Ballon auf großer Reise

Es ist schon spät, aber der kleine Mobus fliegt weiter durch die unendlichen Tiefen des Universums, irgendwo zwischen Gegenwart und Phantasie. Er entdeckt einen Traum voller Musik und Spaß. „Da schau ich mal vorbei“, denkt sich Mobus und landet direkt neben einem Riesenrad. „Wow, so ein riesen Rad habe ich ja noch nie gesehen“, sagt er erstaunt, „und da sitzen ja überall Menschen. Haben die denn keine Angst so hoch oben?“ Der kleine Mobus ist verwundert und geht weiter. Vorbei an Losbuden, deren Wagen bis unter die Decke mit Preisen voll gestopft sind. Drumherum liegen überall Nieten auf dem Boden. Es müssen tausende sein. „Hier haben aber noch nicht viele gewonnen“, denkt sich Mobus. Direkt nebenan duftet es herrlich nach Popcorn, aber für Süßes ist es schon zu spät. Mobus sieht einen Mann, der ganz viele Luftballons an seinem Wagen befestigt hat. „Ich möchte so einen haben, Papi, bitte bitte. Ich möchte so gerne so einen Ballon haben“, hört er ein Mädchen sagen, dass mit seinem Vater vor dem Wagen steht. Die Augen leuchten, „die da, die Prinzessin will ich!“ „Na gut meine Monja, da du so ein gutes Zeugnis in der Schule bekommen hast, darfst du dir einen Ballon nehmen.“ „Oh ja, oh ja, oh ja, prima. Die Prinzessin möchte ich!“ Der Verkäufer gibt Monja den rosafarbenen Ballon. Die Prinzessin sieht wirklich zauberhaft aus. „Aber halte ihn gut fest, sonst fliegt er weg!“ sagt der Vater Meinolf. Monja ist über glücklich. „So eine schönen Ballon hatte ich noch nie.“

Der kleine Mobus läuft Monja und ihrem Vater ein wenig hinterher. Es ist ganz schön voll auf dem Rummel. Der Vater hält Monja fest an der Hand. „Papa, wieso hast du gesagt, dass der Ballon weg fliegt, er hat doch gar keine Flügel?“ fragt Monja verwundert. „Das stimmt meine Monja, aber in dem Ballon ist Gas, Ballongas-Helium, und dieses Gas ist nicht so dicht wie die Luft drum herum, darum wird er sozusagen hoch gedrückt. Er kann fliegen, auch ohne Flügel. Es gibt sogar Ballons, die Menschen mit in den Himmel tragen“, erklärt ihr Vater Meinolf. „Echt? Du bist aber schlau Papi, dass du das alles weißt“, sagt Monja.
Es ist schon spät und die Beiden machen sich auf den Heimweg. An einer Straßenecke kommt ihnen ein Mann mit einem Hund entgegen, der auf Monja zu läuft und bellt. Voller Schreck lässt sie den Ballon los. „Papa!“ Der Vater Meinolf versucht noch den Ballon zu erwischen, doch er schafft es nicht. „Nein, nein!“ ruft Monja, „mein Ballon, meine schöne Prinzessin!“ Monja weint. Der Vater Meinolf schimpft mit dem Hundebesitzer. Mobus beobachtet sie. Er geht zu Monja. „Wein doch nicht“, sagt er leise. „Mein Ballon ist weg geflogen!“ erwidert Monja. „Ich weiß.“ „Er war so schön! Ich wollte ihn doch noch Mama zeigen“ „Ich weiß“, sagt Mobus und beugt sich zu Monja vor. „Aber weiß du was Monja, deine Prinzessin geht jetzt auf große Reise, sie wird die ganze Welt entdecken und viele Abenteuer erleben. Sie wird morgen früh die Sonne aufgehen sehen und vielleicht lernt sie ein paar nette Vögel kennen.“ „Meinst du wirklich?“ „Aber sicher doch!“ sagt der kleine Mobus, und am Ende ihrer Reise wird sie einem anderen kleinen Mädchen eine Freude machen, weil das andere kleine Mädchen auch noch nie einen so tollen Ballon hatte.“ „Wo fliegt sie denn hin?“ fragt Monja. „Wo auch immer du willst. Das ist dein Traum, du kannst dir wünschen wo die Prinzessin hin fliegen soll“, sagt Mobus. „Ich wünsche mir, dass sie bis nach Frankreich fliegt und dort in einem wunderschönen Schloss leben kann!“ schwärmt  Monja freudestrahlend. „Das ist eine gute Idee, dort wird es deiner Prinzessin bestimmt gefallen“, sagt Mobus noch, bevor Monja und ihr Vater Meinolf nach Hause gehen.

Der kleine Mobus ist freut sich sehr, dass Monja nicht mehr traurig ist und kauft sich für den Heimweg nun doch noch eine Tüte Popcorn.


...das alles ist Weihnachten...

„Nächster Halt: Bielefeld Hauptbahnhof“, ertönt aus dem Lautsprecher, der über meinem Kopf hängt. Die alte Dame, die mir direkt gegenüber sitzt, erschrickt ein wenig, als sie die laute Stimme aus dem Lautsprecher hört. Die alte Dame sieht traurig aus. Ihre tiefen Ränder unter den Augen sind blau und leicht angeschwollen. Sie erzählen schlimme Erlebnissen. Sie sitzt regungslos auf ihrem Platz, den Kopf stets gesengt, ihre Hände hat sie ineinander gefaltet. Ihre Handtasche, die sie fest mit ihren Armen  umschlingt, sieht alt aus und ausfranst. An einigen Stellen beult sie aus. „Haben sie schöne Weihnachtsgeschenke gekauft?“ Die alte Damen blickt mit ihren tief braunen Augen zu mir herüber. Es ist ein müder Blick. „Ich habe alles, was ich brauche bei mir!“ Und die alte Dame blickt wieder hinaus. Sie sieht nachdenklich aus. Freut sie sich nicht auf das Weihnachtsfest oder wo fährt sie  hin? Ob sie die wattebedeckten Bäume und Häuser überhaupt wahrnimmt oder ob sie in ihren Träumen versunken ist? „Vor so einen Zug, vor so einen Zug...“, sagt die alte Dame und ein kleiner Regentropfen perlt von ihrer Nasenspitze. „Bitte, was sagen sie?“ „Vor so einen Zug...!“

In diesem Moment geht die Wagontür auf und hunderte Menschen stürmen herein. In ihren Händen unzählige Taschen, Plastiktüten, Rucksäcke. Ein Ehepaar und ihr Kind setzten sich zu mir, ihre Tüten stellen sie zwischen ihren Beinen auf den Boden. Aus der Tüte des Mannes, der neben mir sitzt, guckt ein kleiner, weißer Zipfel. Der Mann, der neben mir sitzt, trägt sogar eine Krawatte, seine Fingernägel sind abgeknabbert. Die Frau mir gegenüber, hält ihre kleine Tochter im Arm. Süß, die blonden Locken. Mit geschlossenen Augen und Teddybär im Arm, wiegt sich das kleine Mädchen voller Sicherheit und Wärme in den Schoß der Mutter. Die Frau mir gegenüber, reicht dem Mann, der neben mir sitzt, eine Tüte Spekulatien. „Möchtest du?“ „Nein Schatz. Ich habe keinen Hunger.“ „Möchten sie vielleicht?“ Ein stechender Duft von Zimt schwebt in meine Nase. „Danke“ und ich nehme mir einen Keks. Ich schaue rüber zur alten Dame. Sie schaut noch immer aus dem Fenster.
„Nächster Halt: Bielefeld-Brackwede“, ertönt aus dem Lautsprecher. Der Mann, der neben mir sitzt, die Frau mir gegenüber und das Kind verlassen schon wieder den Wagon. Nur ein Mann steigt ein. Er sieht alt aus und kaputt, als ob er den ganzen Tag marschiert wäre. Er setzt sich zu mir ans Fenster. Er riecht ein wenig nach Bier, Zigaretten  und Schweiß. Er trägt Handschuhe, die ab der Mitte des Fingers aufhören, seine Stiefel sehen durchgelaufen aus und in seinem Mantel sind bereits Löcher. Seine Haare glänzen und einige Stoppeln kriechen aus seinem Kinn hervor. „Noch Jemand zugestiegen? Fahrscheine bitte!“ und ein Mann in Uniform taucht hinter meinem Sitz hervor. Der Mann am Fenster hebt seinen Blick nicht. „Und sie? Ihren Fahrschein, bitte!“ Der Mann am Fenster reagiert nicht. „Hallo der Herr, ihren Fahrschein!“ Der Mann am Fenster reagiert noch immer nicht. „So, dann kommen sie mal mit!“ „Können sie nicht wenigstens heute ein Auge zudrücken?“ frage ich den Mann in der Uniform. „Ich tue nur meine Pflicht. Kommen sie!“ Ich sehe rüber zur alten Dame. Sie schaut noch immer aus dem Fenster.
„Ich will aber ins Nicht-Raucher-Abteil!“ Zwei Jugendliche stürmen in den Wagon. „Immer geht alles nach deiner Nase. Ich bin es Leid. Kannst du nicht einmal Rücksicht auf mich nehmen?! Das stinkt so. Hör doch endlich auf zu rauchen!“ Hört der andere überhaupt zu, frage ich mich. Die beiden Jugendlichen verlassen den Wagon auf der anderen Seite. Ich sehe rüber zur alten Dame. Doch ihr Platz ist leer.